Freitag, 4. November 2011

Auf dem Weg zur Arbeit

Ich bin noch müde, als ich die Haustür mir zuziehe, das Treppenhaus herunterlaufe und zielstrebig die nächste U-Bahn-Station ansteuere. Ich werde ein Teil der Bewegung, die sich Berufsverkehr nennt. An der Fußgängerampel beobachte ich den Anteil meiner Bewegung, der sich gegen den ÖPNV und für den Individualverkehr entschieden haben. Eine lange Autoschlange, die scheinbar nie aufhört, schiebt sich von Ampel zu Ampel. Die Autofahrer hören Radio, trinken ihren Kaffee To Go oder führen ihre ersten dienstliche Telefonate. Alle teilen den gleichen gleichgültige, gelangweilte und dennoch genervte Gesichtsausdruck. Das Auto ist ein Stück privater Raum auf der öffentlichen Straße. So privat, dass in den meisten Autos nur eine Person sitzt. Da werden riesige, tonnenschwerde Karossen gebaut und mit noch größeren Motoren ausgestattet um letztlich eine 70 kg Person zu bewegen. Über Energieeffizienz muss man da nicht reden. Der Fahrradfahrer neben mir muss nur ca. 10 kg zusätzlich zu seine Körpergewicht bewegen. Er schafft es mit seinen eigenen Waden.

Wie flexibel die Feindbilder doch sind, erkennt man im Straßenverkehr. Bin ich mit dem Fahrrad unterwegs, sind meine natürliche Feinde  die Autofahrer, die einen gerne übersehen und die Fußgänger, die sich in den Weg stellen. Kaum ist das Rad irgendwo angekettet, nerven die rücksichtslosen Radfahrer und die ignoranten Autofahrer. Als Autofahrer kann ich wiederum mein eigenes Lied singen und es ist kein Liebeslied. Aber mein Fußgängerleben ist endlich, denn das große U der U-Bahnstation kommt immer näher.

Das U-Bahn-Gleis ist voll. Das geübte Auge erkennt sofort: Es ist zu voll! Die vorherige U-Bahn ist nicht gekommen. Wie ein Fließband in der Fabrik arbeiten die U-Bahnen den Menschenstrom ab, genau wie in der Fabrik staut es sich, wenn es irgendwo hakt. Doch im Gegensatz zu einem Gleis der Deutschen Bahn am Hauptbahnhof bleiben die Leute ruhig schließlich bedeutet eine ausgefallen U-Bahn nicht gleich eine Stunde Verspätung. Es ist Freitag-Vormittag und die Leute stehen ruhig da, heute Abend wird es deutlich lauter, wenn die Partymeute in die erste Nacht des Wochenendes fährt.

Die U-Bahn fährt ein und es wird dezent gedrängelt. An einen Sitzplatz ist nicht zu denken, aber man sitzt eh den ganzen Tag auf dem Bürostuhl. Die U-Bahn in proppevoll, ein Gedanke an eine U-Bahn in Japan zur Rush Hour lässt sie aber leer erscheinen. Eine zufällig zusammgestellte Gruppe teilt sich die Bahn, es befindet sich kein mit bekanntes Gesicht im Waggon, also bin ich allein wie ein Autofahrer an der roten Ampel und der öffentliche Raum wird für mich ein privater. Gesprächsfetzen fremder Leute dringen mir in Ohr, vermischen sich mit dem Bass aus dem Kopfhörers eines Teenagers und dem Fahrgeräusch der Bahn. Meine Gedanken treiben vor sich hin, im Unterbewusstsein bemerke ich intuitiv wann meine Zielstation kommt.

Ich trete aus dem U-Bahn-Kollektiv aus. Aus mir wird wieder eine Fußgänger bis schließlich aus mir dem Privatman der Angestellter wird. Zeitgleich trete ich aus der Bewegung Berufsverkehr aus. Bis zum Feierabend...

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